Projekt "Sport gewinnt" Fachkräfte binden mit Vereinssport

Sport gewinnt: Gemeinsam für „Sport gewinnt“ (v. links): Theresa Habich-Lerch und Max Hechsel, Fachstelle Migration und Integration des Landkreises, Sportkreischef Uwe Steuber, Frank Eser und David Michel, Referat Vielfalt im Sport der Sportjugend Hessen.     Bild: Menkel
Sport gewinnt: Gemeinsam für „Sport gewinnt“ (v. links): Theresa Habich-Lerch und Max Hechsel, Fachstelle Migration und Integration des Landkreises, Sportkreischef Uwe Steuber, Frank Eser und David Michel, Referat Vielfalt im Sport der Sportjugend Hessen. Bild: Menkel

Eingewanderte Fachkräfte aus dem Ausland durch Integration in Sportvereinen dauerhaft an die neue Heimat zu binden, dieses Ziel verfolgt „Sport gewinnt“.

Der Sportkreis-Vorsitzende Uwe Steuber vermietet seit Kurzem eine Einliegerwohnung an einen Assistenzarzt aus Jordanien. Das Mietverhältnis würde normalerweise mit keiner Zeile in der Zeitung erwähnt, wäre da nicht „Sport gewinnt“. Mit dem neuen Programm der Sportjugend Hessen sollen eingewanderte Fachkräfte aus dem Ausland durch Integration in Sportvereinen dauerhaft an die neue Heimat gebunden werden. Menschen wie der Mediziner aus Nahost.

Der Arzt habe ihn schon gefragt, wo er denn Sport treiben könne, erzählte Steuber beim Startschuss für das Projekt am Montag im Korbacher Kreishaus – Waldeck-Frankenberg ist einer von drei Sportkreisen in Hessen, die als Modellregion für das Programm ausgewählt worden sind. Die Auftaktveranstaltung diente dazu, erste Knoten eines Netzwerks von Sport, Arbeitswelt und Behörden zu knüpfen, das Neubürger und Klubs zusammenbringen soll. Knapp 20 Vertreter und Vertreterinnen von Kommunen, Ämtern, der Wirtschaft und des organisierten Sports nahmen teil. Ihnen stellt sich eine durchaus komplexe Aufgabe – dazu Fragen und Antworten.

Warum gibt es überhaupt das Programm?

Deutschland wirbt schon länger gezielt Menschen im Ausland an, um etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun. Nicht immer erfolgreich. Frank Eser, Leiter des Sportjugend-Referats Vielfalt im Sport, erzählte am Montag von 20 spanischen Elektrikern, die in Offenbach Arbeit gefunden hatten, aber nach etwa anderthalb Jahren in ihre Heimat zurückkehrten. Sie hatten sich nicht wohlgefühlt im fremden Land, waren isoliert geblieben, weil sie kaum Kontakte abseits der Arbeit knüpfen konnten. Studien bestätigen laut Eser: Fehlende soziale Integration ist neben Diskriminierung der wichtigste Grund für Arbeitsmigranten, nicht dauerhaft zu bleiben. 

„Sport gewinnt“ ist eine Reaktion darauf. Denn was, fragte Eser rhetorisch, könne bei der sozialen Integration besser helfen als der Sport. Er ermögliche es Zugewanderten, Bindungen aufzubauen, Freundschaften zu schließen oder auch ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. Gelinge es, sie von der Vereinsfamilie zu überzeugen, gelinge es vielleicht auch, sie „ganz lange bei uns zu halten“.

Was bietet das Programm?

Kernidee ist, dass interessierte Fachkräfte zunächst vieles von dem ausprobieren können, was Sportvereine anbieten. Dazu hat die Sportjugend eine „Schnupperkarte“ entwickelt – die Migranten könnten so unverbindlich bis zu neun Angebote testen, erklärte Esers Mitarbeiter David Michel. Die Hoffnung: Anschließend entscheiden sich die Migranten, Mitglied eines Klubs zu werden. Der Anreiz: Die Sportjugend zahlt die Mitgliedsbeiträge für die ersten drei Monate. „Ein ganz niedrigschwelliger Einstieg“, sagte Eser. Die Migranten sind beim „Schnuppern“ grundsätzlich versichert. Erste Anlaufstelle für sie sind Sportjugend oder Sportkreis, die die weiteren Schritte veranlassen. Finanziell gefördert wird das Projekt aus Mitteln des Bundesprogramms „Integration durch Sport“.

Was haben die Vereine davon?

Im besten Fall: neue Mitglieder und größere Vielfalt. Das Schnuppern soll keinen großen verwaltungs-technischen Aufwand erfordern, es muss aber gratis sein. Die Vereine würden so „die soziale Komponente“ des Projekts abdecken, sagte Eser.

Wer ist die Zielgruppe von „Sport gewinnt“?

Angeworbene Fachkräfte, die noch nicht lange im Land sind, höchstens zwei Jahre. Geflüchtete zählen nicht dazu. Eser schloss auf Nachfrage nicht grundsätzlich aus, dass auch sie vom Programm profitieren können, ebenso jugendliche Migranten in Ausbildung. Falls nicht, gebe es andere Fördermöglichkeiten. „Wir werden immer Einzelfallentscheidungen treffen.“ Uwe Steuber sagte: „Wir sollten versuchen, alle Personen mitzunehmen.“ Bei dem eigentlichen Programm rechne er nicht mit „Tausenden neuer Mitglieder in den Sportvereinen“.

Wie kommen Fachkräfte und Sport zusammen?

Die Kardinalfrage von „Sport gewinnt“. Die Sportvereine kann der Sportkreis über seinen Mailverteiler informieren. Aber wie die Migranten erreichen? Eine Adresse sind deren Arbeitgeber, im Falle des genannten Assistenzarztes etwa das Korbacher Krankenhaus. Der für das Projekt entwickelte Flyer müsste dafür sehr breitflächig verteilt werden. Steuber sagte, der Sportkreis als Dienstleister sei grundsätzlich dazu bereit. „Wir wollen an ganz viele Multiplikatoren herankommen.“ Kümmern soll sich schwerpunktmäßig die neue Mitarbeiterin Sandra Huft.

Auch über Dachorganisationen wie die Kreishandwerkerschaft, deren Geschäftsführer Kai Bremmer mit am Tisch saß, können Firmen erreicht werden. Der Flyer müsste bei den Kommunen ausgelegt werden, im Jobcenter, in der Ausländerbehörde. Für Peter Schreiber, Sportjugend-Referent für Fragen der Integration mit Büro Sportjugendcamp am Edersee, sind Sprachkurse ein wichtiges Forum. Dort stelle er schon seit Jahren den Vereinssport in Deutschland vor.

Eine wichtige Position haben die Sportcoaches. Was ist ihre Aufgabe genau?

Die Sportcoaches nehmen bereits eine zentrale Rolle im Programm „Sport integriert Hessen“ für Geflüchtete ein. Auch „Sport gewinnt“ setzt auf sie, die aktuell in zehn heimischen Kommunen von Diemelstadt bis Gemünden arbeiten. Sobald Arbeitsmigranten ihr Interesse an Vereinsangeboten angemeldet haben, sollen sie diesen die Schnupperkarte in die Hand drücken und sie an infrage kommende Klubs vermitteln. „Sie sind die Fachleute vor Ort“, so David Michel. Die Sportcoaches sollen über ihre bestehenden Kontakte zudem angeworbene Fachkräfte in ihrer Kommune selbstständig identifizieren, ansprechen und beraten.

Welche Rolle spielen digitale Medien?

Geht es nach Thomas Trachte eine zentrale. Der Bürgermeister der Gemeinde Willingen, deren Hotels und Gastronomie auf Mitarbeiter aus dem Ausland dringend angewiesen sind, regte die schnelle Präsenz von „Sport gewinnt“ in den Sozialen Netzwerken an. Diese sollten über einen QR-Code einfach zu erreichen sein. Der Code könne auf dem Flyer des Programms stehen oder auch auf Aushängen in Betrieben und Behörden. „Das wäre am effektivsten.“ Die Sportjugend will laut Eser digitale Auftritte rasch umsetzen. Auch Steuber zeigte sich dazu bereit.

Es gibt im Landkreis mit der „Integreat-App“ bereits ein digitales Medium zur Förderung der Integration. Kann „Sport gewinnt“ sie nutzen?

Unbedingt, meinte Sportkreischef Steuber. Dass es diese App gibt, war nicht wenigen in der Runde neu. Dabei ist sie seit mehr als anderthalb Jahren am Start. Sie sei 2023 und 2024 bisher jeweils 2500 Mal heruntergeladen worden, sagte Theresa Habich-Lerch von der zuständigen Fachstelle Migration und Integration des Landkreises. Die App, mehrsprachig und in einfacher Sprache, sei auf die Bedarfe der Zugewanderten mit Migrationsgeschichte in Waldeck-Frankenberg abgestimmt.

Es sei möglich, in der App interessierte Sportvereine zu verlinken, allerdings nicht zu leisten, alle mehr als 300 Klubs des Sportkreises mit aktuellen Kontakten einzupflegen. Steuber schlug vor, zumindest die Vereine mit Geschäftsstelle zu integrieren. Auch die sechs Stützpunktvereine des Programms „Integration durch Sport“ sollen mit Links auftauchen.

Was bleibt vom Kickoff?

Das Programm ist sozusagen in der Welt. Es umzusetzen, dafür gebe es nicht „den Königsweg“, sagte Frank Eser. Sein Appell: „Lasst uns anfangen, lasst es uns ausprobieren.“ 

Gerhard Menkel
Verantwortlich für diesen Inhalt: Sportkreis Waldeck-Frankenberg


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